Der Strukturwandel in Deutschland trifft auch die Feuerwehren: Migration, Geburtenrückgänge, Boom- und Flautenregionen, geändertes Freizeitverhalten oder Wandel der Aufgabengebiete: dies sind nur einige der Faktoren, die die Feuerwehren im 21. Jahrhundert begleiten.
Die Region München erlebt einen Wirtschaftsboom, der insbesondere für die umliegenden Gemeinden, auch „Speckgürtel“ genannt, mit Herausforderungen verbunden ist, beispielsweise durch starken Zuzug von Arbeitskräften.
Eine solche Gemeinde ist Poing (Landkreis Ebersberg) an der S-Bahn nach Erding gelegen: zählte sie vor knapp 15 Jahren noch 7.000 Einwohner, sind es heute bereits 13.000, in acht Jahren ist der geplante Ausbau mit 20.000 Einwohnern abgeschlossen.
Ich führte das erste einer geplanten Reihe von Interviews unter dem Dachthema „Feuerwehren im Strukturwandel“. Interviewpartner ist Robert Gaipl, seit einem halben Jahr Kommandant der FF Poing.
(Robert Gaipl, Kommandant FF Poing)
IW: Robert, kannst Du die FF Poing kurz beschreiben?
RG: Die Feuerwehr Poing zählt derzeit 86 aktive Mitglieder, davon 17 in der Jugend. Organisiert sind wir in vier Gruppen, die mindestens einmal im Monat zusammen üben. Der Fuhrpark besteht aus LF „Brand“ [grob ein LF16 ohne THL], LF „THL“, RW2, DLK23/12, MZF, MTW und KdoW. Wir fahren im Schnitt 100 Einsätze pro Jahr, vom Spektrum eher THL-lastig.
In der 1991 erbauten Wache befindet sich auch die CSA-Übungsanlage des Landkreises, auch ist hier ein ELW der UG-ÖEL untergebracht.
(Die 1991 eingeweihte Wache der FF Poing)
IW: Und jetzt die Gemeinde Poing, die ja einen starken Wandel durchmacht
RG: Das stimmt! Man zählte lange um die 7.000 Einwohner, fast ausschließlich in das, was wir heute „Alt-Poing“ nennen, also südlich der Bahnlinie. In den 80ern wurde beschlossen, eine „Trabantenstadt“ zu bauen – so wurde das Projekt damals von den Bürgern genannt. „Neu-Poing“ entstand auf der anderen Seite der Bahnlinie auf in mehreren Abschnitten ausgewiesenem Baugrund. Heute hat Poing insgesamt 13.000 Einwohner, bald sollen es 20.000 sein. Also fast eine Verdreifachung.
(Kontraste: Alt-Poing, Neu-Poing)
IW: Bringt das keine Probleme mit sich?
RG: Klar, nicht alles ist glatt verlaufen. Wie gesagt, damals nannte man es „die Trabantenstadt“, aber das hat sich schnell gelegt: Neu-Poing ist heute absolute Normalität. Auch der Ortskern verlagerte sich, es entstand ein Einkaufzentrum, das allerdings nicht als solches aufgenommen wurde. Es fehlen dort kleine Läden. Dies wird heute nachgeholt.
IW: Gibt es bei Euch in der Feuerwehr auch in der Mannschaft eine „Bahnlinie“?
RG: Nein, überhaupt nicht. Allerdings kommt der Großteil der Mannschaft, nämlich zwei Drittel, aus Alt-Poing. Doch aus Neu-Poing kommen immer mehr.
IW: Wie drückt sich diese starke Wandlung bei Euch in der Feuerwehr aus?
RG: Nun, bis zum Umzug in das neue Gerätehaus waren wir eine eher klassische Bayerische Feuerwehr mit „Tanker“ [TLF16] und LF8. THL konnten wir beispielsweise von der Ausrüstung und Ausbildung her fast nicht stemmen. Bereits mit dem Umzug haben wir dann den Fuhrpark umgestellt, und die Ausbildung entsprechend verbessert.
IW: Habt ihr im Fuhrpark noch größere Beschaffungen vor?
RG: Nein. Allerdings ist das LF „THL“ mit 20 Jahren wohl an seine Grenzen gestoßen; hier wird sicher bald ein HLF fällig. Wir weiten also in diesem Sinne nicht aus.
IW: Hat sich denn das Einsatzspektrum und die Anzahl der Einsätze in den letzten Jahren stark verändert?
RP: auch hier ein nein, größtenteils. Wir fahren mehr Einsätze, im Schnitt mehr THL-Einsätze, aber die Verdoppelung der Einwohner hat nicht zur Verdoppelung der Einsätze geführt. Wir haben höchtens Probleme, die Objekte in den neuen Wohngebieten anzufahren, viele Zugänge sind verbaut und lassen sich nur schwer mit großen Fahrzeugen erreichen.
Es gibt auch keine klar definierten Gefahrenpotenziale; wir haben ein großes Gewerbegebiet, in dem die Firmen Stahlgruber und océ gemeinsam eine Werkfeuerwehr unterhalten, doch auch dort ist es ruhig – gottseidank. Dies gilt auch für die gut 100 Brandmeldeanlagen im Ort, die uns derzeit keine große Arbeit bescheren. Das war mal anders. Ab Alarmstufe 2 kommen wir als Unterstützung mit auf die A94 [Passau-München]
(Das Gewerbegebiet Poing)
IW: Wie sieht es denn mit der Alarmsicherheit aus? Kriegt ihr genügend Leute zusammen?
RG: Man muss so ehrlich sein, und zugeben, dass wir die gleiche Problematik mit den meisten Gemeinden im Münchner Umland teilen. Viele Leute pendeln zum arbeiten in die Stadt, auch kann nicht jeder jederzeit seinen Arbeitsplatz verlassen. Immerhin haben wir das große Glück, dass sieben Mitarbeiter des Baubetriebshofs zur Verfügung stehen.
Tagsüber schaffen wir es, eine bis zwei Gruppen auf die Beine zu stellen, nachts und Wochenends haben wir natürlich ausreichend Kräfte.
IW: Wie sieht denn Eure Nachwuchsförderung aus? Wie kriegt ihr Leute rein?
RG: Hier hat sich die Jugendfeuerwehr als großen Segen erwiesen. Auf unsere 17 Jugendlichen sind wir natürlich sehr stolz. Somit haben wir zumindest mittelfristig keine existentiellen Personalsorgen.
Einerseits „ziehen“ die aktiven Jugendlichen ihren Freundeskreis mit ein, andererseits müssen wir logischerweise am Ball bleiben: beispielsweise haben wir am 21.10. eine Veranstaltung für Nachwuchswerbung.
IW: Ihr habt noch eine Löschgruppe im Ortsteil Angelbrechting.
RG: Das stimmt, und sie ist vielleicht die am stärksten vom Wandel betroffene Einheit. Wir haben dort einen MTW stehen, die letzten fünf dort aktiven Kameraden nehmen an unseren Übungen teil. Auch für Landwirte hat sich einiges geändert, beispielsweise haben sie dort zu dritt eine Biogas-Anlage gebaut. Keiner hat mehr Zeit für die Feuerwehr, die klassische ländliche „Herkunft“ hat praktisch keine Bedeutung mehr. Ich denke, Angelbrechting als Feuerwehr wird irgendwann aufgelöst.
IW: Jetzt haben wir doch etwas gefunden! Der Wandel der Gemeinde hat ansonsten keine gravierenden Auswirkungen auf die Feuerwehr gehabt.
RG: Das stimmt; diese Entwicklung hätte man so oder so durchmachen müssen. Hier also nichts Ungewöhnliches.
IW: Robert, danke für das Interview.
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„Hier also nichts Ungewöhnliches.“
„Interessantes“ Interview….
Geschrieben von Klaus am